© Simon Blöchel, Goetterdaemmerung, Wuerzburg

Hauptwerke

Übersicht über die Hauptwerke von Richard Wagner, welche regelmäßig bei den Bayreuther Festspielen aufgeführt werden.
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Romantische Oper in drei Akten. Uraufführung 1845 in Dresden.

Ein Takt aus Wagners Tannhäuser

Verstehen ohne Trost
von Werner Hintze

«Er ist der Meister des ganz Kleinen.» Mit diesen Worten aus Friedrich Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft ist Richard Wagner gemeint. Und als ob das nicht schon verblüffend genug wäre, rühmt der Philosoph, der der größte Wagnerkenner und -durchschauer seiner Zeit war, dann «seine Meisterstücke, welche alle sehr kurz sind, oft nur Einen Takt lang».

So paradox die Aussage auf den ersten Blick erscheint, wer sich längere Zeit mit Wagner beschäftigt, macht die Erfahrung, die Nietzsche hier auswertet: Nach und nach kommt zur anfänglichen Begeisterung über die monumentale Gestalt und mitreißende emotionale Kraft der Werke des Bayreuther Meisters immer mehr die Entdeckung winziger, präzise ziselierter  Details. Sei es das erste zaghafte Aufkeimen des Liebesmotivs in der Walküre, Isoldes «Da traf mich sein Blick», Kundrys trostloses Weinen nach der Taufe oder auch Hans Sachs’ plötzliche Anwandlung von Zorn und vielleicht auch Scham, wenn Beckmesser unaufhaltsam seiner Blamage auf der Festwiese entgegengeht.

Eines der größten dieser kleinen «Meisterstücke» aber findet sich im dritten Akt des Tannhäuser: Elisabeth hat unter den entsühnt heimkehrenden Rompilgern den einzigen nicht gefunden, der ihr den Glauben an diese Welt hätte zurückzugeben können und will sie nun verlassen. Wolfram spricht sie an: «Elisabeth, dürft’ ich dich nicht geleiten?» Für den Namen der geliebten Frau, die er hier zum ersten Mal direkt anzusprechen wagt, wählte Wagner eine so schlichte wie beziehungsreiche Tonfolge: einen gebrochener Es-Dur-Dreiklang. Zweimal im Verlauf des Stücks ruft Wolfram den Namen aus, um Tannhäuser zum Bleiben im Wartburg-Bereich zu bewegen. Beide Male bewegt sich seine Stimme vom Grundton der Tonart eine Quarte abwärts, und beide Male antwortet Tannhäuser mit der Wiederholung des Namens, wobei seine Stimme von der Terz zum Grundton herabsinkt. Beide Teile zusammen ergeben einen Quartsextakkord, gleichzeitig Ausdruck der Gemeinsamkeit der beiden Männer, die – wenn auch auf sehr verschiedene Weise – dieselbe Frau lieben, und der Offenheit der Situation, denn der Quartsextakkord gilt als Dissonanz, die der Auflösung bedarf, er deutet auf eine Zukunft, auf etwas, das noch zu erwarten und zu erhoffen ist.

Hier aber ist Wolfram allein und seine Singstimme umschreibt in einer trauervoll absteigenden Linie den vollständigen Dreiklang in seiner Grundstellung. Hier ist eine Antwort und Fortsetzung nicht möglich und auch nicht erhofft: Wolfram und Elisabeth sind in derselben Situation unendlicher Einsamkeit, die Entfernung zwischen ihnen – so nah sie beieinander stehen mögen – ist unendlich. In der untröstlichen Trauer dieser kurzen absteigenden Linie zeichnet Wagner das ganze Ausmaß der Katastrophe, die über diese beiden Menschen hereingebrochen ist: Tannhäuser ist nicht zurückgekommen, der Stellvertreter Gottes hat mit seiner Härte gezeigt, dass die Hoffnung auf das allumfassende Erbarmen des Schöpfers und Erhalters der Welt getrogen hat, von dem Elisabeth mit so tiefer Überzeugung sprach, als es die Ritter vom Mord an Tannhäuser abzuhalten galt. Sie zieht den einzig möglichen Schluss und verlässt diese schlecht eingerichtete Welt, in der sie nicht leben, die sie aber auch nicht verändern kann. Wolfram jedoch bleibt der Wunsch, sie dabei zu begleiten, versagt.

In vier Silben und drei Töne fasst Wagner diesen vollständigen Zusammenbruch des Mannes, der im Sängerwettstreit noch so feurig von seiner entsagungsvollen Liebe und dem tiefen Sinn dieser Entsagung für die Ordnung der Welt zu singen vermochte. Wie ein Insekt im Bernstein ist in diesem einen Takt für alle Zeiten die unendliche Traurigkeit Wolframs eingeschlossen. Nicht das folgende stumme Zwiegespräch zwischen Elisabeth und Wolfram (für das Sebastian Baumgarten in seiner von der Kritik ganz zu Unrecht geschmähten Bayreuther Inszenierung einen Ausdruck von so herzzerreißender Schönheit fand, dass die Passage zum emotionalen Höhepunkt der Aufführung wurde), nicht einmal die Fortsetzung des Satzes – dieser eine Takt ist das erstaunlichste «Meisterstück» dieses Akts. Vielleicht schwebte Nietzsche diese Stelle vor, als er Wagner als einen Musiker rühmte, der «seine Meisterschaft darin hat, die Töne aus dem Reich leidender, gedrückter, gemarterter Seelen zu finden und auch noch dem stummen Elend Sprache zu geben», und dann fortfährt: «Er hat den scheuen Blick des verhehlten Schmerzes, des Verstehens ohne Trost, des Abschiednehmens ohne Geständnis; ja als Orpheus alles heimlichen Elends ist er größer als irgend einer.»

Der Text ist urheberrechtlich geschützt, alle Recht beim Autor des Textes, Werner Hintze.
 

Tannhäuser - Die Handlung

Zu Beginn des Werks befindet sich Tannhäuser im Inneren des Venusberges (d. i. der Hörselberg bei Eisenach). Die Welt der Venus ist ausschließlich der Sinnlichkeit geweiht. Tannhäuser hat als Sterblicher den Weg hierher gefunden, ist des Genusses jedoch zusehends überdrüssig („Wenn stets ein Gott genießen kann, bin ich dem Wechsel untertan“). Venus versucht, ihren Ritter zum Bleiben zu bewegen, und prophezeit, dass die Menschen Tannhäuser sein Verweilen bei der heidnischen Göttin der Liebe nie verzeihen würden: Dort finde er nie sein Heil. Tannhäuser jedoch bleibt bei seinem Entschluss: „Mein Heil ruht in Maria!“ Bei der Anrufung Mariens versinkt die Welt der Venus, und Tannhäuser sieht sich in ein liebliches Waldtal in Thüringen am Fuße der Wartburg versetzt. Er versöhnt sich mit den Rittern, die er einst verlassen hatte, und will an einem Sängerfest, das auf den nächsten Tag bestimmt ist, teilnehmen, auch um das Herz Elisabeths, der Nichte des Landgrafen, zu gewinnen.
 
Im zweiten Aufzug begegnen sich Tannhäuser und Elisabeth erstmals wieder. In einem Dialog zwischen beiden und einem Gespräch zwischen Elisabeth und dem Landgrafen wird die Wunschverbindung der beiden kaum verhüllt vorbereitet. Das Sängerfest beginnt, wobei jeder der Teilnehmer das Wesen der Liebe besingen soll. Dabei gerät Tannhäuser jedoch, schon bevor er an der Reihe ist, immer mehr in Rage, da er merkt, dass die anderen Minnesänger offensichtlich von wahrer Sinnlichkeit keine Ahnung haben, die er ja im Venusberg erfahren hat. Dies verleitet ihn, als er einen Lobpreis auf die Liebe singen soll, zu dem Bekenntnis, dass er im Venusberg gewesen ist, wodurch er nach den Moralgesetzen der Zeit Abscheu und allgemeine Empörung hervorruft und vom Fürsten verdammt wird. Die Anrufung von oder der Aufenthalt bei heidnischen Göttern war allemal Götzendienst und Abgötterei. Nur auf die Fürsprache Elisabeths wird Tannhäuser gestattet, sich den Pilgern, die nach Rom ziehen, anzuschließen, um Buße zu tun und um Vergebung zu bitten.

Im dritten Aufzug erleben wir, wie Elisabeth vergeblich auf die Rückkehr Tannhäusers wartet; unter den heimkehrenden Pilgern, die in Rom Gnade gefunden haben, ist er nicht. Verzweifelt zieht sie sich zurück, das Geleit Wolframs lehnt sie stumm ab. Wolfram besingt in einem traurigen Lied die Todesahnung, die wie Dämmerung die Lande deckt. Da naht Tannhäuser. Er ist in Rom gewesen, hat jedoch keine Vergebung gefunden (Romerzählung). Der Papst (in der Sage ist es Urban IV.) sprach, auf seinen Priesterstab zeigend: „Wie dieser Stab in meiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, kann aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer dir erblühn.“ Tannhäuser ist verzweifelt und sehnt sich nun zurück ins Reich der Venus. Diese erscheint auch, doch Wolfram hält Tannhäuser von dem verzweifelten Schritt ab. Er ruft Elisabeths Namen aus, deren Bitte, für Tannhäusers Vergebung sterben zu dürfen, inzwischen erfüllt wurde. Venus ist augenblicklich verschwunden. Tannhäuser stirbt, mit seinen letzten Worten Elisabeth um Hilfe bei Gott bittend. Pilger bringen den wundersam erblühten Priesterstab aus Rom: „Den dürren Stab in Priesters Hand hat er geschmückt mit frischem Grün“ – ein Zeichen, dass Gott selbst Tannhäuser Erlösung gewährte. Nach dem Lob Gottes durch den Chor: „Hoch über aller Welt ist Gott, und sein Erbarmen ist kein Spott!“ schließt das Werk mit dem Satz: „Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, er geht nun ein in der Seligen Frieden!“